E-Paper
Naturdenkmal

Ein geschichtliches Zeugnis stirbt – die Politische Buche in Niederwartha

Jahrzehntealte Einritzungen wie ein Hakenkreuz, das mit seinem unteren Teil das Pfeil-Logo der „Eisernen Front“ überdecken sollte, und der Schriftzug „K.P.D.“ (links auf dem Foto) waren der Grund für die Benennung der Politischen Buche an den Hängen des Kleditzschgrunds oberhalb von Niederwartha – und spielten auch bei ihrer Ausweisung als Naturdenkmal bereits vor über 60 Jahren eine Rolle.

Jahrzehntealte Einritzungen wie ein Hakenkreuz, das mit seinem unteren Teil das Pfeil-Logo der „Eisernen Front“ überdecken sollte, und der Schriftzug „K.P.D.“ (links auf dem Foto) waren der Grund für die Benennung der Politischen Buche an den Hängen des Kleditzschgrunds oberhalb von Niederwartha – und spielten auch bei ihrer Ausweisung als Naturdenkmal bereits vor über 60 Jahren eine Rolle.

Dresden. Im Dritten Reich war er im besten Alter, konnte aber nicht ins Exil gehen. Sein Versteck lag ganz am heutigen Stadtrand Dresdens, wurde allerdings entdeckt. Und so verpasste man ihm doch noch das Hakenkreuz, das einst stolz präsentierte Widerstandssymbol musste weichen. Danach lebte er in der DDR, erhielt auch dort das Parteiabzeichen. Seine letzten Jahrzehnte verbrachte er im wiedervereinten Deutschland, bis er nun offenbar verstarb. Es liest sich wie eine normale Biografie – mit zwei Unterschieden: Entnazifiziert wurde er nie. Und gemeint ist auch kein Mensch, sondern ein stattlicher Baum mit besonderer Geschichte.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die Politische Buche im Kleditschgrund bei Niederwartha stach heraus. Gelegen an einem kleinen Weg auf halber Höhe des Hanges, imponierte sie aufgrund ihrer Größe und Ausprägung. Drei Erwachsene sind nötig, um den Stamm dieser einst rund 25 Meter hohen Rotbuche mit seinen über vier Metern Umfang gemeinsam zu umfassen. Doch das war nicht der einzige Grund dafür, dass sie den Status als Naturdenkmal erhielt. Speziell die Einritzungen im Stamm, die ältesten wohl aus den 1930er Jahren, hatten es in sich und führten letztlich zum Eigennamen dieses Kuriosums unter den fast 100 Gedenkbäumen Dresdens.

Auffällige Rinden-Einritzungen

Am auffälligsten: die linksgewinkelte Swastika in rund zwei Metern Höhe. Sie ist entgegengesetzt der gängigen NS-Symbolik dargestellt, die sich auch auf der Hakenkreuzflagge von Hitler-Deutschland wiederfand. Der Grund für dieses „verkehrt herum“ war wohl, dass sich dadurch ein anderes Logo besser unkenntlich machen ließ, das den Nationalsozialisten verhasst war: Es handelte sich um drei parallele, schräg abwärts gerichtete Pfeile als Erkennungszeichen der „Eisernen Front“, eines 1931 unter anderem von Sozialdemokraten und Gewerkschaftern gegründeten Widerstandsbündnisses gegen die damals aufstrebende NSDAP.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Links neben dem Naturschutzschild findet sich noch die Einritzung „K. P. D“ als Abkürzung für die in der NS-Zeit in den Untergrund verdrängte Kommunistische Partei Deutschlands. Die Abkürzung „SED“ ist offenkundig jünger und direkt darunter lesbar. Nach der Wende hat auf dem Baumstamm auch jemand die FDP verewigt, zudem befinden sich auf dem Baum zahlreiche weitere, oft unleserliche Einritzungen – einige davon sind Initialen. „Es lässt sich heute nur vermuten, dass der abgeschiedene und stille Kleditschgrund im Dritten Reich als geheimer Versammlungsort oder für Kampfübungen von Widerstandsgruppen genutzt wurde“, erklärt Gedenkbaumexperte Rainer Pfannkuchen, früherer Leiter der Dresdner Naturschutzbehörde.

Seit 1951 amtlich unter Schutz

Der Feuerwehrmann Alfred Neugebauer (1914–2006), der als Retter des Davidsterns der Dresdner Synagoge während der Novemberpogrome 1938 in die Geschichte einging, habe ihn einst auf die Politische Buche aufmerksam gemacht und die historischen Zusammenhänge vermittelt, so Rainer Pfannkuchen weiter. Während nach dem Krieg fast überall Hakenkreuze entfernt wurden, ließ die damals noch eigenständige Gemeinde Niederwartha den Baum mit seinen Einritzungen am 7. November 1951 sogar amtlich unter Schutz stellen. Mit Beschluss vom 23. Januar 1958 tat es ihr der Rat des Kreises Dresden-Land gleich, auch wenn das Karteiblatt den Baum fälschlicherweise als „Politische Hainbuche“ auswies.

Ein Bild aus etwas besseren Tagen

Ein Bild aus etwas besseren Tagen: Vor zwei Jahren ragte die Buche trotz des zwischenzeitlichen Verlusts vieler Äste noch 25 Meter hoch in den Himmel.

Seit Niederwartha als Teil Cossebaudes 1997 eingemeindet wurde, steht die Politische Buche am äußersten westlichen Rand der Landeshauptstadt. Die Verwaltung stattete sie 2000 mit einem Hinweisschild aus, das auf die historischen Einschnitte hin- und einen Schutzbereich von mindestens 16 Metern um den Stamm ausweist. Seit dieser Zeit war in der Naturschutzbehörde bekannt, dass der Baum alterstypische Zerfallserscheinungen zeigt. Die Ausbruchstellen starker Äste mit mehr als 20 Zentimetern Durchmesser waren nicht zu übersehen. Ein Einschreiten dagegen ist bei Rotbuchen praktisch unmöglich.

Verhängnisvoller Kronenbruch

Dennoch: "Der Zustand wurde altersgemäß als nicht kritisch eingeschätzt", heißt es aus dem Amt für Stadtgrün. Bis zu einem verhängnisvollen Tag im Spätherbst 2017, als es zum Kronenbruch kam. Der Stamm brach in sechs Metern Höhe, also über den Einritzungen, ab. Tonnenweise Holz krachte auf den Waldboden. Wann genau das geschah, weiß im Amt niemand. Vielleicht hat das Sturmtief Herwart, das Ende Oktober 2017 über Sachsen fegte, eine Aktie daran. Den Baumschaden festgestellt haben die zuständigen Mitarbeiter des Umweltamtes aus dem Sachgebiet Gehölzschutz jedenfalls bei einer Regelkontrolle am 28. Dezember 2017.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Wegen ihrer abseitigen Lage und des geringen Sicherheitsrisikos wurde die Politische Buche nur gelegentlich begutachtet, im Abstand von wenigen Jahren. Einen Anlass für eine eingehende Untersuchung habe es wegen der bis in die äußeren Partien relativ vitalen Krone und wegen des Fehlens bestimmter Symptome am Stamm nicht gegeben. Umso größer das Erstaunen nach dem Kronenbruch: „Dass der Stamm nahezu vollständig – bis auf wenige Zentimeter Restwand im Inneren – vermorscht war, überraschte“, teilte das Amt für Stadtgrün mit. Fakt ist: Wäre das morsche Holz festgestellt worden, hätte ein Zurückschneiden der Krone deren Auseinanderbrechen verzögert, aber das Morschwerden nicht verhindert.

Konservierung denkbar

Übrig bleibt nun eine Menge Totholz – als Biotop für die Tierwelt sowie für Pilze, Flechten und Algen äußerst attraktiv und wertvoll. Die Experten im Amt für Stadtgrün rechnen damit, dass sich „sehr viele Arten von Insekten, Spinnen, andere Wirbellose, teils Vögel, möglicherweise auch kleinere Säugetiere sowie eine ganze Palette nicht tierischer Organismen auf und in dem Baum entwickeln“ werden.

Ein sogenannter Hochstubben und jede Menge Totholz – das sind die Reste der Politischen Buche, die allerdings auch weiterhin ein Naturdenkmal b

Ein sogenannter Hochstubben und jede Menge Totholz – das sind die Reste der Politischen Buche, die allerdings auch weiterhin ein Naturdenkmal bleibt .

Noch an dem sogenannten Hochstubben, dem verbliebenen Stammrest, vorhanden sind die Symbole, die den Baum so markant gemacht haben. Derzeit gebe es keine Pläne, die einst für geschichtlich schützenswert befundenen Einritzungen der Nachwelt zu erhalten, statt sie einfach mit verrotten zu lassen. „Sollte daran Interesse von einer anerkannten, öffentlichen Institution bestehen, wäre eine Teilentnahme zwecks Trocknung und Konservierung denkbar“, hieß es dazu aus dem Amt für Stadtgrün. Doch auch die fotografischen Belege könnten zur Dokumentation dienen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Neben der von Bombensplittern aus dem Februar 1945 gezeichneten Splittereiche im Großen Garten, die jedoch kein Naturdenkmal ist, dient die Politische Buche als einer von zwei Gedenkbäumen in Dresden als Mahnmal an die NS-Zeit. Bis sie völlig zersetzt ist, hat übrigens ihr Status als eines der rund 150 Naturdenkmale in Dresden, von denen etwa die Hälfte Einzelbäume sind, auch weiterhin Bestand. In der Stadtverwaltung besteht noch Hoffnung für die Politische Buche: "Möglicherweise bildet sich aus schlafenden Knospen zeitweilig ein Neuaustrieb und eine kleinere Sekundärkrone." Das wäre dann ein neues und besonderes Kapitel in der Biografie dieses Veteranen.

Von Stefan Schramm

DNN

Anzeige
Anzeige