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DIE WELT

Jugendwahn und Altersängste

Leitartikel

Unsere Zeit wird von einer Frage gequält, die man auf die Formel bringen könnte: Jugendwahn und Altersängste. Das, was auf den ersten Blick wie ein Gegensatzpaar aussieht ist auf den zweiten nur die jeweils andere Seite der gleichen Medaille.

Alle setzen auf Jugend und Schönheit; die Parteien ebenso wie die Unternehmen. Ihnen liegt die Überzeugung zu Grunde, dass in einer dynamischer gewordenen Welt allein die Jugend in der Lage sei, mit den Anforderungen der Zeit fertig zu werden. Das gilt nicht nur für die körperliche Kraft, das Durchhaltevermögen und das Tempo der Arbeit, sondern auch für den Einfallsreichtum und die geistige Mobilität. Jung sein, das bedeutet heute Erfolg und in vielen Fällen auch Schönheit. Ganze Industrien - von der Mode über das Auto bis zum Sport - haben sich auf diese Jugendwelt eingestellt und profitieren davon. Zu Recht wird schon von einer "Jugendlichkeitsgesellschaft" (Bernhard Schlink) gesprochen.

Diesem Befund korrespondiert auf der anderen Seite eine wachsende Angst vor dem Altwerden, die Sorge im Wettbewerb mit den Jungen nicht (mehr) mithalten zu können. Diese Angst setzt früher ein als vom biologischen Lebensprozess her zu erwarten ist und hat mehr mit mentaler als mit tatsächlicher Veränderung zu tun. Resignation und Fatalismus befallen diejenigen, die altersbedingte Veränderungen an sich selbst nicht akzeptieren wollen und die zugleich spüren, dass ihr Wissen und ihre Lebenserfahrung immer weniger gefragt sind. Das gilt nicht nur für die Berufswelt, sondern auch für die Familie, in der normative Verhaltensweisen sehr schnell als altmodisch und für das Fortkommen hinderlich abgetan werden.

Was ist der Grund? Das sind zum einen die technischen Veränderungen, wie sie sich insbesondere im IT-Bereich ergeben. Wo immer mehr Menschen Probleme haben, beim Lösen von Tickets, dem Begleichen von Rechnungen, dem Lesen von Fahrplänen und Steuererklärungen (letztere können ab 2005 elektronisch erfolgen!) zurechtzukommen, weil Computer und Automaten die Lebenswelt beherrschen, da tut sich ein Zwiespalt auf gegenüber denjenigen, die das alles mit leichter Hand können - den Jungen. Er wird zusätzlich durch eine Bewusstseinsindustrie vertieft, die via Werbung das Gefühl vermittelt, dass im Konsumbereich nur die Jugend das Ziel der Wünsche ist und allein ihre Sehnsüchte oder Begierden zählen. Solchermaßen nicht nur eingestuft, sondern auch herabgesetzt, wird das Ich des einzelnen Individuums angefressen und der Zusammenhalt zwischen den Generationen unmerklich ausgehöhlt.

Dieser wird durch die de facto Aufkündigung des Generationenvertrages als Folge unbezahlbarer Rentenbezüge noch beschleunigt. Hinzu tritt die öffentliche Diskussion um die Neuregelung der Erbschaftssteuer, die den jüngeren Menschen die Vorfreude auf einen unbeschwerten Erbantritt nimmt. Infolge dessen beginnt man sich in einer Ego-Gesellschaft einzurichten, in der Unhöflichkeit untereinander, Konkurrenz miteinander und Neid aufeinander alltäglich werden.

Was ist zu tun? Zunächst einmal nichts, was der Staat im Rahmen seiner Daseinsvorsorge für die Gesellschaft zu regeln hätte. Er regelt mit seiner Omnipräsenz ohnehin schon zu viel. Gefragt ist der einzelne Mensch selbst, seine Eigenverantwortung und die Mobilisierung einer Zivilgesellschaft. Das wird nicht einfach sein, aber auch nicht aussichtslos. Warum sollten nicht in den Kindergärten, in den Schulen und betrieblichen Ausbildungsstätten das Gefühl und die Verantwortung füreinander stimulierbar sein? Der Ablauf des Ökumenischen Kirchentages in Berlin hat gezeigt, dass diese Idee keine Schwärmerei ist. Auch das Engagement vieler Jugendlichen im Zivildienst und in der Entwicklungshilfe zeigen, dass Perspektiven gegeben sind. Sie müssen nur erkannt, genutzt und weiter vorangebracht werden.

In diesem Jahrzehnt wird sich zeigen müssen, ob unsere Gesellschaft zu einem ausgeglichenen Verhältnis der Generationen zurückfindet. Dazu gehören Verständnis für die Lebensplanung der jüngeren Generation ebenso, wie Verantwortung für den Lebensabend der älteren. Wenn das nicht auf einen akzeptablen Nenner gebracht wird, dann stehen uns noch Konflikte erheblichen Ausmaßes bevor.

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